Tokio Die EU und Japan wollen sich zukünftig bei der Entwicklung digitaler Zukunftstechnologien eng miteinander abstimmen. In Tokio unterzeichneten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Europaratspräsident Charles Michel an diesem Donnerstag ein entsprechendes Abkommen. Es handelt sich um die erste Digitalpartnerschaft der EU mit einem Drittland, erklärte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission in einer kurzen Pressekonferenz während der Gespräche. „Die Führerschaft in diesem Feld ist maßgeblich für unsere Wettbewerbsfähigkeit“.
Der Gipfel ist ein vorläufiger Höhepunkt einer beispiellosen diplomatischen Offensive. Erst war Bundeskanzler Olaf Scholz Ende April zu Gesprächen nach Japan geflogen, eine Woche später besuchte Japans Regierungschef Fumio Kishida dann Italien und Großbritannien. Nun fand in Tokio ein Gipfel zwischen der Europäischen Union und Japan statt.
Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Bedeutung des Treffens wesentlich erhöht, hieß es in Brüssel. Durch Chinas Schulterschluss mit dem Aggressor Russland wolle sich der europäische Staatenbund intensiver im indopazifischen Raum engagieren, sagte von der Leyen. Die Region sei für die EU „von vitalem Interesse“. Europaratspräsident Michel sagte auch die Bedeutung von Japan in dieser Strategie klar: „Japan ist unser engster Partner in der indopazifischen Region.“ Gastgeber Kishida begrüßte den Vorstoß der Europäer: „Japan und die EU arbeiten enger zusammen als früher.“
Freihandelszone und Sicherheitslage wichtige Themen
Die Tagesordnung des Gipfels zeigt das gesamte Spektrum gemeinsamer Interessen. Von der Leyen und Michel sprachen mit ihrem Gastgeber Kishida über die Erfolge der gemeinsamen Freihandelszone, diskutierten die Folgen von Pandemie und Krieg auf die Wirtschaft und die Sicherheitslage in Europa und Asien.
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Schwerpunkt war jedoch die gemeinsame digitale Zukunft. Ob es um die Versorgung mit Halbleitern geht oder um Datenströme – beide Seiten wollen ihre Zusammenarbeit ausdehnen, erklärten EU-Vertreter.
Der Gipfel knüpft damit auch an das Düsseldorfer Treffen der G7-Digitalministerin mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an. Am Dienstag und Mittwoch hatte die Gruppe der sieben Industriestaaten, zu der auch Japan zählt, eine vertiefte Zusammenarbeit bei Internetthemen besprochen.
Vor Jahren hatte bereits die Regierung in Tokio eine Initiative ins Leben gerufen, deren Ziel es war, den freien Datenfluss zwischen Japan und den befreundeten Staaten zu verbessern. Das sollte ein gemeinsamer Datenraum gewährleisten. Seit der Pandemie wird auch die Digitalisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft mit aller Kraft vorangetrieben.
Unter dem Titel „Digitale Gartenstadt“ will Japans Regierungschef Kishida nun etwa ländliche ausdrücklich fördern, indem er sie im Eiltempo digitalisiert. Dabei ist auch er an globalen Kooperationen interessiert: So gründete er in London mit dem genauen Premier Boris Johnson die „Japan UK Digital Group“, die unter anderem Fragen digitaler Standards diskutieren soll.
Auch wirtschaftsstrategisch arbeiten Japan und die EU schon länger zusammen, etwa beim Global-Gateway-Programm, mit dem die EU-ärmeren Länder eine Alternative zu Chinas Infrastrukturprogramm der Belt-and-Road-Initiative (BRI) anbieten werden.
Japanisches Geld kann dabei auf dem Balkan und in Afrika helfen, Chinas finanziellen Einfluss zurückzudrängen. Auch in Südostasien ist Japan als langjähriger Großinvestor und Gesprächspartner einflussreich.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung rät daher der EU in einer aktuellen Studie zur intensiven Kooperation. „Um zu vermeiden, dass die Staaten des südostasiatischen Staatenbunds Asean in Chinas Einflusssphäre eingebunden werden, müssen die EU und Japan ihr Engagement fortsetzen, koordinieren und poolen“, meinen die Autoren.
Ein weiterer wichtiger Faktor der Beziehungen ist die bilaterale Freihandelszone, die bei ihrer Gründung im Jahr 2019 die größte und modernste der Welt war. Japan öffnete dabei sogar sein staatliches Beschaffungswesen für europäische Konkurrenten.
Die europäische und deutsche Wirtschaft sieht schon jetzt positive Wirkungen des Partnerschaftsabkommens aus, trotz der globalen Handelsprobleme, die die Coronapandemie verursacht hat.
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Nach Ansicht von Björn Kongstad, Politikdirektor des European Business Council in Tokio, hat das Abkommen nicht nur die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Japan begründet. „Es hat auch Japan in die Köpfe europäischer Unternehmen in Europa gebracht und natürlich umgekehrt Europa in die Köpfe japanischer Firmen.“
Markus Schürmann, der Chef der Deutschen Auslandshandelskammer in Tokio, teilt diese Erfahrung. „Das Abkommen hat eine hohe Ausstrahlung“, sagt er. Schürmann beobachtet in Japan ein deutlich gestiegenes Interesse an der deutschen Wirtschaft.
Sogar messbare Erfolge gibt es. 2021 stieg der Handel zwischen den beiden Ländern um 7,5 Prozent auf 41,7 Milliarden Euro. Nicht alle Branchen profitieren dabei von fallenden Zöllen, da Japan auf viele Produkte keine Einfuhrzölle erhob.
„Wichtige Gewinner sind allerdings die Lebensmittel- und Getränkehersteller“, sagt Schürmann. Bei Molkereiprodukten stieg Deutschlands Exporte nach Japan seit 2018 um elf, bei Getränken und Alkohol sogar um 27 Prozent.
Schürmann sieht jedoch auch Probleme: „Wir sehen unveränderte Herausforderungen bei nichttarifären Handelshemmnissen.“ Ein Beispiel seien Druckbehälter, die im Maschinen- und Anlagenbau eine Rolle spielen. Da würden in Japan internationale Standards weiterhin nicht akzeptiert. Das führt zu kostspieligen Anpassungen und Sonderanfertigungen.
Der größte Kritikpunkt bleibt das öffentliche Ausschreibungswesen. „Ich werde mit dem Finger in keine Richtung zeigen, aber es ist fair zu sagen, dass wir etwas enttäuscht sind“, so Kongstad. „Ich bin sicher, dass auch die Kommission enttäuscht ist.“
Schürmann benennt ein konkretes Problem: die oft sehr kurzfristigen für Firmen, um Gebote abzugeben. „Ausschreibungen sind oft noch immer so gestrickt, dass eigentlich nur eine lokale Geschäftseinheit kann“, sagt Schürmann. Und da werde die Zeit für ausländische Unternehmen knapp.
Bei Sanktionen gegen Russland ist Japan eine treibende Kraft
„Der intensive Austausch ist derzeit extrem wichtig“, sagt der Delegierte der deutschen Wirtschaft. Auch angesichts der globalen Gemengelage begrüßt er die rege Reisetätigkeit von Regierungs- und Staatschefs zwischen Europa und Japan.
Tatsächlich ist Japan in Asien eine treibende Kraft, wenn es um Sanktionen gegen Russland geht. Auch das Ölembargo trägt Tokio mit.
Die Gipfelteilnehmer hatten es sich zum Ziel gesetzt, zur Neuordnung der westlichen Sicherheitsstrategie beizutragen. Tritten sich EU und USA in der Vergangenheit häufig über die Asienstrategie, werden inzwischen eher die Gemeinsamkeiten betont.
Michael Green vom amerikanischen Center for Strategic & International Studies (CSIS), betont, Washington stimme mit Europa, Japan, Australien und Korea überein, dass der Indopazifik eine Region souveräner Staaten bleiben muss und nicht von China dominiert werden. „Die Strategie basiert darauf, dass dies eine multipolare Region ist, in der auch Japan, Indien, Indonesien und Südkorea wichtige Player sind“, sagt Green.
Zentral für das Zusammenrücken von EU und Japan sei die Tatsache, dass man sich als „Wertepartner“ wahrnehme, so Green. Dabei gehe es nicht nur um demokratische Werte im engeren Sinn, sondern auch um den Wert einer regelbasierten Handelsordnung.
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Quelle: www.handelsblatt.com